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So 29.09.2024, 18.00 - 20.30 Uhr | Staatsoper

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The Times Are Racing


(ab 13 Jahren / Klasse 8 )

Ballettabend mit Werken von Pina Bausch, Hans van Manen, Demis Volpi und Justin Peck

Einführung um 17.20 Uhr

Wir leben in einer Zeit des rasant schönen Nebeneinanders der Stile – und so ist auch dieser Ballettabend gemeint. Vier Choreograf*innen, vier Ballette, mal barfuß, mal in Spitzenschuhen, mal in Sneakers. In Pina Bauschs "Adagio" gehen die Tänzer*innen durch zutiefst menschliche Zustände. Sie pendeln zwischen Verzückung und Verzweiflung, Widerstand und Hingabe. Hans van Manens "Variations for Two Couples" ist erotisch elegant, schlicht und doch hoch virtuos. Mit "The thing with feathers" erlebt ihr ein Werk des neuen Ballettintendanten Demis Volpi: Angelehnt an ein Gedicht von Emily Dickinson, entfacht er ein berührendes Wechselspiel aus Trauer, Freude und Lust, das die Momenthaftigkeit des Tanzes voller Optimismus beleuchtet. Justin Pecks "The Times Are Racing" ist ein hyperdynamischer bunter Knallkörper in Sneakers. Cooler kann Ballett nicht sein!

Unterstützt durch die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper

[MEHR]
EIN MEKKA DES TANZES
von Vivien Arnold

Kaum eine Kunstform hat sich in Deutschland so rasant entwickelt in den letzten 50 Jahren wie der Tanz. Zwischen 1970 und 2024 wird die Bundesrepublik zu einem Mekka des Tanzes; Choreograf*innen aus der ganzen Welt strömen in das Land und kreieren, u.a. auch dank der weltweit einzigartigen Kulturförderung der Länder und Kommunen, eine reiche, diverse, von vielen Ländern bewunderte Tanzlandschaft. Ein kurzer Streifzug durch die jüngere Tanzgeschichte – ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

1971 kreiert Hans van Manen mit "Keep Going" eine Uraufführung für das Ballett am Rhein; es ist das erste Mal, dass der niederländische Choreograf im Nachbarland arbeitet. Deutschland wird zu seiner zweiten künstlerischen Heimat; das Ballett am Rhein sowie das Stuttgarter Ballett nehmen eine große Anzahl der markanten Werke des äußerst vielseitigen Choreografen in ihr Repertoire auf, womit er die Spielpläne und die Ästhetik dieser Compagnien mitprägt.

1973 wird Pina Bausch als Leiterin der Ballettsparte der Wuppertaler Bühnen berufen; im gleichen Jahr wird John Neumeier Ballettdirektor an der Hamburgischen Staatsoper. Beide schreiben Tanzgeschichte; die eine, in dem sie eine völlig neue Gattung – das Tanz­ theater – erfindet und zu internationaler Anerkennung führt; der andere, indem er das Handlungsballett erneuert, groß angelegte sinfonische und sakrale Ballette kreiert, eine Schule gründet und seine Compagnie zu Weltruhm führt.
1983 stirbt George Balanchine, der Vater des neoklassischen Balletts, in New York. Ein Jahr später wird der Amerikaner William Forsythe als Direktor des Balletts in Frankfurt berufen; wie Balanchine revolutioniert er das klassische Ballett, stellt zwanzig Jahre lang alle Vorstellungen über die Kunstform auf dem Kopf, mit elektrisierenden Balletten, die alsbald im Repertoire fast jeder renommierten Compagnie weltweit aufzufinden sind.

2006 choreografiert Demis Volpi, zu dieser Zeit Mitglied des Stuttgarter Balletts, sein erstes Stück für die Noverre Gesellschaft: Junge Choreographen, die gleiche Plattform bei der u. a. John Neumeier und William Forsythe ihre ersten Stücke choreografierten. Der Stuttgarter Tradition John Crankos folgend, experimentiert Volpi in den darauffolgenden Jahren mit kurzen, abstrakten Stücken und erzählt auf neue Art und Weise bewegende Geschichten mit seinen Handlungsballetten.
2020 wird er zum Ballettdirektor des Balletts am Rhein berufen, wo er die Zusammenarbeit mit Hans van Manen fortsetzt.

2017 choreografiert Justin Peck, choreografisches Wunderkind des von Balanchine gegründeten New York City Ballet, sein Stück "The Times Are Racing". Das Stück fängt den Zeitgeist einer beschleunigten und zunehmend polarisierten Gesellschaft in dynamischen aber auch poetischen Bildern ein.
2024 lädt Demis Volpi als neuer Ballettintendant Hans van Manen, Justin Peck und Vertreter*innen der Pina Bausch Foundation ein, um in Hamburg mit den Tänzer*innen des Ensembles zu arbeiten und ihre Werke einzustudieren. Der Abend vereint vier Künstler*innen, die exemplarisch für 50 Jahre Tanzgeschichte stehen. Auf den folgenden Seiten stellen wir sie und ihre Stücke vor.

PINA BAUSCH
Ehrlichkeit und Genauigkeit

Pina Bausch zählt zu den wichtigsten und einflussreichsten Choreograf*innen des zwanzigsten Jahrhunderts. Von Wuppertal aus etablierte sie das Tanztheater als neues, weltweit anerkanntes Genre; wie kaum anderen Choreograf*innen im 20. Jahrhundert gelang es ihr, dem Tanz neue Freiräume zu erschließen. Geboren 1940 in Solingen, wurde sie an der Essener Folkwang Schule unter Kurt Jooss ausgebildet. Als wichtigste Maßstäbe nimmt sie aus der Zusammenarbeit mit Jooss – wie sie später formuliert – "Ehrlichkeit und Genauigkeit" mit: Ehrlichkeit im Umgang mit der Wirklichkeit und Genauigkeit im Ausarbeiten der Form. Mit ersten eigenen Choreografien erregt sie ab Ende der 1960er Jahre Aufmerksamkeit; 1973 wird sie als Leiterin der Tanzsparte an die Wuppertaler Bühnen berufen. Bausch ändert den Namen ihres Ensembles von Ballett zu Tanztheater. Der Name ist Programm. Sie erprobt die verschiedensten Genres, nennt ihre Stücke Tanzoper, Revue, auch Operette, beginnt tänzerische und theatralische Mittel zu verbinden. Ihre frei collagierten Stücke handeln in poetischen Bildern und Tänzen von den Ängsten und Sehnsüchten, die Menschen umtreiben. Die Suche nach Liebe, Nähe und Geborgenheit wird zum zentralen Motiv für ihre Arbeit, für die sie eine neue Arbeitsweise entwickelt. Sie stellt ihren Tänzer*innen Fragen – 800 bis 1000 pro Stückrecherche – und komponiert aus 40 bis 50 Antworten ihre bewegenden Exkursionen ins Innere des Menschendaseins. Auch damit schreibt sie Tanzgeschichte. Über 50 Stücke kreiert sie bis zu ihrem Tod 2009 und verschafft ihrer Arbeit Weltgeltung; ihr Tanztheater Wuppertal wird zu einer der begehrtesten Compagnien und tourt rund um den Globus. Für ihre revolutionäre Neubestimmung des Tanzes wird sie weltweit mit den höchsten Preisen und Ehrungen ausgezeichnet; ihr stilbildendes Beispiel wirkt bis heute nach.

"Adagio" ist ein Frühwerk Bauschs. Genau vor 50 Jahren – in ihrer zweiten Spielzeit als Leiterin des Tanztheater Wuppertal – kre­ierte sie das Stück für 22 Tänzer*innen als ersten Teil des zweiteiligen Stücks "Adagio – Fünf Lieder von Gustav Mahler" zum ersten Satz von Mahlers 10. Sinfonie. In alltäglich anmutenden Momenten entsteht durch tänzerische und theatrale Mittel eine subtile Dramatik und faszinierende Intensität. Bis auf einen einzigen Stuhl braucht es keine Requisiten. Bausch lässt die Tänzer*innen durch zutiefst menschliche Zustände gehen, ob Verzückung oder Verzweiflung, Widerstand oder Hingabe.

Mit "Adagio" ist zum ersten Mal eine Arbeit von Pina Bausch beim Hamburg Ballett zu sehen. Das Stück wird von der Pina Bausch Foundation mit Hilfe der Probenleiter*innen Josephine Ann Endicott, Breanna O'Mara und Scott Jennings rekonstruiert, was ein besonderes Erlebnis für die Hamburger Tänzer*innen sein dürfte.

HANS VAN MANEN
Meisterhafte Reduktion

Die Niederlande haben viele berühmte Künstler*innen hervorgebracht. Zweifelsohne kann sich der in der Nähe von Amsterdam geborene Hans van Manen einreihen neben Rembrandt, Vermeer oder Piet Mondrian, der Maler mit dem er sehr oft, aber irrtümlicherweise, erglichen wird. Die Stücke des 1932 geborenen Altmeisters befinden sich im Repertoire zahlreicher renommierter Compagnien, wo sie für die Erneuerung des neoklassischen Balletts aus dem Geist einer modernen Bewegungssprache stehen.

In der Gesamtschau des Œuvres Hans van Manens (bis dato über 120 Stücke) herrscht eine unverwechselbare Tanzsprache vor: eine Mischung von neoklassischem Ballett mit Elementen moderner Tanztechniken und zuweilen auch Alltagsbewegungen oder Gesten. Geschlechterspezifische Bewegungskonventionen werden in seinen Werken ebenso hinterfragt wie vorgegebene Rollen: Mit "Metaforen" (1965) wagte van Manen als erster Choreograf des 20. Jahrhunderts einen Pas de deux für zwei Männer, ebenso ließ er Frauen miteinander tanzen; Männer und Frauen begegnen sich in seinen Choreografien ebenbürtig.

Überwiegend wählt der Choreograf die Form von nicht narrativen Einaktern. Doch trotz aller Abstraktheit, vielleicht auch gerade durch van Manens radikale Reduzierung auf den Körper, werden in seinen Choreografien zwischenmenschliche Beziehungen besonders sichtbar: Subtile Erotik, Machtkämpfe, Zärtlichkeit, Abhängigkeit, Verletzlichkeit – all dies brodelt unter der vermeintlich schlichten Oberfläche.

Van Manen ist von jeher ein Grenzgänger, der, anstatt lediglich an alten Formen festzuhalten, immer auch den Kontakt zur Innovation sucht. Bereits 1979 arbeitete er beispielsweise für die Choreografie "Live" mit Kameratechnik und Live-Projektion. Impulse gewinnt er zudem aus der professionellen Beschäftigung mit Fotografie und Film. Die Zeitlosigkeit seiner Ballette liegt nicht zuletzt in der intuitiven Musikalität des Choreografen begründet. Hans van Manens Stücke zeichnen sich nämlich durch einen hochsensiblen Umgang mit der Musik aus. Einen dementsprechenden Stellenwert nimmt die sehr breit aufgestellte Musikauswahl im Schaffen Hans van Manens ein.

Van Manens "Variations for Two Couples" ist ein Paradebeispiel für all diese Elemente. Das Stück trägt mehrere Markenzeichen van Manens: die schlichte Eleganz, die nach oben in der Diagonale gehaltenen Armen, das gegenseitige Einkreisen des Partners, der intensive und herausfordernde Blickwechsel der Tänzer*innen, eine fesselnde Spannung und ein erhabener Dialog mit der Musik von Benjamin Britten, Einojuhani Rautavaara, Stevan Kovacs Tickmayer und Astor Pianola. Ohne Frage ein sehr wertvoller Neuzugang zum Repertoire des Hamburg Ballett.

DEMIS VOLPI
Fürsorge und Mitmenschlichkeit

Demis Volpi entspringt einer langen Reihe von bekannten Choreograf*innen, die allesamt ihre Karrieren beim Stuttgarter Ballett begonnen haben: John Neumeier, Jiří Kylián, William Forsythe, Uwe Scholz, Christian Spuck, Marco Goecke und Bridget Breiner u. a. heißen seine illustren Vorgänger*innen bzw. Kolleg*innen. Unterschiedlicher könnten sie nicht sein. Das Geheimnis des Erfolgsrezepts für diese Kaderschmiede der Choreografie heißt: Offenheit für Neues, Mut zur Veränderung und keine Grenzen der Kreativität.

Nach seiner Ausbildung in seiner Heimatstadt Buenos Aires sowie an Canada's National Ballet School und der John Cranko Schule, wurde Volpi Mitglied der Stuttgarter Truppe und begann schon früh zu choreografieren. Es entstanden anfangs sehr diverse Stücke und ein Bewegungsvokabular, das in einem Punkt neu, ja fast radikal wirkte. Denn im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen, setzte Volpi auf sehr eigene Art ein eher altmodisches Werkzeug ein: den Spitzenschuh. Kaum ein anderer Choreograf zu diesem Zeitpunkt hat so vor Augen geführt, was für ein prekäres Unterfangen das Tanzen auf Spitze eigentlich ist, ja wie verrückt es ist, dass eine Frau ihr gesamtes Körpergewicht auf einer Fläche von circa 5 Quadratzenti­ metern balanciert. Volpis Frauenfüße tasteten den Boden ab, hämmerten, schlitterten und vibrierten. Der Körper rang nach Halt oder bewegte sich stolz und frei über das Standbein. Seine Tänzerinnen wirkten dadurch entweder erschreckend verletzlich oder geheimnisvoll stark, gewappnet für alles.

Der große Durchbruch gelang Volpi mit der tänzerischen Umsetzung von Otfried Preußlers Jugendroman Krabat. Binnen 12 Monaten haben über 30.000 Zuschauer*innen, darunter viele junge Menschen, die bejubelte Produktion gesehen und Volpi fand eine seiner Berufungen: das Geschichtenerzählen. Es folgten weitere Handlungsballette wie Salome nach Oscar Wilde, aber auch Opernproduktionen wie Benjamin Brittens Der Tod in Venedig. Auch nach seiner Ernennung als Direktor des Ballett am Rhein im Jahr 2020 erkundete Volpi das Genre Handlungsballett weiter, sei es mit seiner bahnbrechenden Neuinterpretation des Klassikers Giselle oder in dem surrealen Geschlossene Spiele nach dem Schauspiel von Julio Cortázar.

Das Stück The thing with feathers hingegen ist ein abstraktes Ensemblestück, das sich ein Gedicht der berühmten amerikanischen Dichterin Emily Dickinson als Ausgangspunkt nimmt: "Hope is the thing with feathers ...". Das Ballett für 14 Tänzer*innen ist eine Geste der offenen Arme und eine Huldigung der Individualität, die eingebettet ist in den Glauben an eine von Fürsorge und Mitmenschlichkeit durchzogene Gemeinschaft. Zu Richard Strauss' monumentale "Metamorphosen für 23 Solostreicher" entfacht Volpi ein berührendes Wechselspiel aus Trauer, Freude und Lust, dass die Momenthaftigkeit des Tanzes voller Optimismus beleuchtet. Die Tanzsprache ist zeitgenössisch, die Themen und Emotionen, die im Zuschauer erweckt werden, hingegen zeitlos.

JUSTIN PECK
Rastlos dynamisch

Justin Peck ist durch und durch ein Spross des New York City Ballet (NYCB). Seine Stücke kombinieren den puren Tanz eines George Balanchines mit dem Broadwayflair eines Jerome Robbins. Kein Wunder also, dass kein geringerer als Steven Spielberg ihn auserkor, die Choreografie für sein Remake des berühmten Robbins-Musicals "West Side Story" beizusteuern. Mit nur 27 Jahren wurde Peck 2014 zum Hauschoreografen des von Balanchine gegründeten NYCB ernannt; wie Robbins verpflichtet er sich nicht nur dem Ballett, sondern auch Broadway. Vor kurzem eröffnete sein Musical Illinoise; Peck schrieb das Buch, führte Regie und choreografierte – und wurde dafür mit seinem zweiten Tony-Award belohnt.

Die Wurzeln des Tausendsassas liegen aber dezidiert beim Ballett. Nach frühem Unterricht im Stepptanz, erhielt er seine Ballett­ Ausbildung an der renommierten School of American Ballet. 13 Jahre lang war Peck Tänzer beim NYCB, wo er ab 2008 anfing zu choreografieren. Er hat außerdem Stücke für u. a. das Ballett der Pariser Oper, dem San Francisco Ballet, Houston Ballet und LA Dance Project geschaffen. Meist choreografiert er neoklassisch und setzt den Spitzenschuh ein.

2016/2017 kreierte er "The Times Are Racing". In diesem großangelegten Ballett setzt sich Justin Peck mit seiner US-amerikanischen Heimat, den hoffnungsvollen Idealen des Landes, aber auch der düsteren politischen Realität auseinander; während des Kreationsprozesses wurde Donald Trump zum Präsidenten gewählt. So sind die bunten Alltagskostüme des Modedesigners Humberto Leon vereinzelt mit politischen Botschaften wie "Resist", "Unite" oder "Act" versehen. Die Choreografie ist explosiv, dynamisch und spannungsgeladen. Getanzt wird in Jeans und Turnschuhen; Elemente des Stepptanzes mischen sich unter Pirouetten und Sprünge. Untermauert wird die rastlose Stimmung von der elektronischen Musik des US-amerikanischen Komponisten und Musikers Dan Deacon (vom Band gespielt). Im Laufe der Aufführungsgeschichte des Stückes wurden einige Rollen sowohl von Frauen als auch von Männern getanzt, für Peck eine Erkundung neuer künstlerischer Möglichkeiten. Das Hamburg Ballett tanzt als erste europäische Compagnie dieses Ausnahmewerk; die Hamburger Tänzer*innen dürfen sich auf die Zusammenarbeit mit einer der aufregendsten jungen Choreografen unserer Zeit freuen.

Ort: Staatsoper, Dammtorstraße 28, 20354 Hamburg
Preise: 7,00 EUR bis 119,00 EUR

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